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21.03.2022 | 10:12

Milena Marković: Man muss verstehen und lieben – und Kant lesen

Milena Marković: Man muss verstehen und lieben – und Kant lesen

Die Dichterin und Autorin Milena Marković, Empfängerin des NIN-Preises für den Roman „Kinder“ (Deca), ist der Meinung, dass alles, was heute in der Welt geschieht, in der das Thema der Pandemie schon vergessen wurde, weil schon ein neues Thema aktuell ist, auf Probleme der sogenannten westlichen Zivilisation und des Systems des liberalen Kapitalismus hinweist. Die Autorin von Dramen wie z.B. „Der Wald funkelt“ und „Ein Schiff für Puppen“, mit denen sie einen bedeutenden Einfluss auf Dramatik und auf das Theater selbst ausgeübt hat, sagt im Interview für SEEcult.org, dass Mitgefühl etwas ist, aus dem gute Taten vollbracht und auf Ungerechtigkeit reagiert werden kann, aber dass dies selten geschieht.

Die Mehrheit der Menschen lebt nach einem Prinzip, in dem im individuellen Sinne nur Nahrung, Kleidung und Sexualität wichtig sind. Dieses Prinzip kann kann auch im gemeinschaftlichen Sinne gültig sein und sich auf Familie, Klasse, Art beziehen.

Die Menschheit war ihrer Meinung nach immer die gleiche, aber heute werden unverhüllte Kriege in der Propaganda geführt, wo – je nach Gelegenheit – ein bestimmter Teil der Menschheit als unmenschlich erklärt wird. Im Irrtum ihres schmalen Weltbildes wiederholen nicht denkende Menschen dies wie Papageien.

„Alle Menschen werden von der Mutter geboren, leben und lechzen, können oder können nicht und sterben am Ende. Man muss verstehen und lieben – so wie Christus verstand und liebte. Auf jeden Fall muss man danach streben. Alle sind verdienstvoll und sind es auch nicht. Es ist immer eine Frage der Macht – wer misst und wählt, bestimmt auch die Verdienste“, führte Milena Marković an.
Indem sie betont, dass alles eine Vorder- und eine Kehrseite hat, weist Milena Marković darauf hin, dass vom Standpunkt der kapitalistischen Demokratie der Mensch das Recht hat, sich von den Fesseln der familiären Verpflichtungen und Rollen, von Nation, Religion, Ideologie, von verschiedenen auferlegten Autoritäten zu befreien und sein Leben in voller Freiheit des produktiven Individualismus nach eigener Wahl gestalten kann. Das Ergebnis kann aber ein verängstigter, einsamer, selbstsüchtiger Konsument sein, der in ständiger Begierde lebt.

Milena Marković führt an, das Mitgefühl etwas ist, wegen dem ein Mensch in bestimmten Situationen eine gute Tat vollbringen oder auf Ungerechtigkeit reagieren kann. Aber dies geschieht selten.

„Der größte Teil der Menschen lebt nach einem Prinzip, in dem im individuellen Sinne nur Nahrung, Kleidung und Sexualität wichtig sind. Dieses Prinzip kann auch im gemeinschaftlichen Sinne gültig seine und sich auf Familie, Klasse, Art beziehen. Es gab Revolutionäre, die nicht nach diesem Prinzip lebten – Mönche, Heilige. Sie haben an die Menschheit gedacht.

Künstler gehören selten zu dieser Gruppe, für sie ist es wichtig, eine Spur zu hinterlassen. Die Lüge liegt in Einschmeichelung, unter anderem. Bei Künstlern gibt es eine spezifische Eigenschaft – in einem bestimmten Moment beginnen sie zu denken, dass sie besser sind als andere und dass sie in jedem Moment ihrer Lebens  Bewunderung ohne jede Reserve verdienen. Oft wissen sie gar nicht viel. Der Geist ist ein Verbrauchsgut, der künstlerische Geist wird nicht durch Wissen geübt, Wissen ist nicht primär. Dann haben sie die Situation, das unterschiedliche Künstler wie Gänse im Nebel die Situation deuten, in der sich die heutige Zivilisation befindet. Eine der schlimmsten Lügen ist, wenn man sich selbst belügt“, stellte Milena Marković fest.

Thesen über eine staatliche Pathologie betrachtet Milena Marković als oberflächlich und sieht sie sogar als Propagandanarrative, die absichtlich benutzt werden, um ein Volk oder ein System anzuschwärzen.

„Die Pathologie der Zeit ist für den Künstler interessant. ´Dr. Jekyll und Mr. Hyde´ ist im viktorianischen England entstanden, Uelbek ist aus einem hedonistischen liberalen Kessel hervorgekommen ... Da ist dann auch unsere Pathologie – meine Pathologie und die der Kollegen und Kolleginnen aus der Region. Ich nenne sie ´Wein und Gitarren´. Familienpathologien sind die Quelle jedes Künstlers. Alles andere ist eine Frage des Stils, ob du Bronté oder Kafka bist“, führte Milena Marković an.

*Das ganze Interview (in serbischer Sprache) ist auf diesem Link zugänglich

 

(SEEcult.org)

 

Gefördert mit Mitteln aus dem Internationalen Hilfsfonds für Organisationen in Kultur und Bildung 2021 des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, des Goethe-Instituts und weiterer Partner, www.goethe.de/hilfsfonds

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