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28.10.2021 | 17:03

Gojko Božović: Anstatt Propaganda sollte die Wirklichkeit so betrachtet werden, wie sie wirklich ist

Gojko Božović: Anstatt Propaganda sollte die Wirklichkeit so betrachtet werden, wie sie wirklich ist

Der Schriftsteller und Chefredakteur des Verlagshauses Arhipelag, Gojko Božović ist einer der ersten größeren Verleger in Serbien, der den Beschluss gefasst hat, sein Verlagshaus nicht an der Internationalen Buchmesse in Belgrad teilnehmen zu lassen, die für Ende Oktober angesagt war, schließlich aber wegen einer ähnlichen Einstellung anderer Verleger abgesagt wurde. In der Meinung, dass es in heutigen Zeiten notwendig ist, realistisch und verantwortungsvoll zu sein, weist Božović in seinem Interview für SEEcult.org darauf hin, dass das bisherige Modell für die Organisierung der Buchmesse – der massenhaftesten Veranstaltung in der Kultur Serbiens und der Region – in den Bedingungen der Pandemie wegen dem epidemiologischem Risiko, aber auch wegen einem wirtschaftlichem Risiko für Verleger für den Fall einer niedrigen Besucheranzahl, unmöglich ist.

„Es stellt sich nicht die Frage, ob die Buchmesse notwendig, sondern ob sie möglich ist. Die Buchmesse ist wichtig und notwendig, vor allem für Leser und Verleger. Man muss aber auch die Wirklichkeit so betrachten, wie sie ist und nicht so, wie wir sie uns wünschen ... Massenveranstaltungen sind heute schwer und mit großem Risiko zu steuern und dies kann eine größere Gefahr für die Buchmesse darstellen als ihre Absage aus wirklich überzeugenden Gründen. ... Anstatt auf einer unmöglichen Mission der Buchmesse in geschlossenem Raum in der Zeit der Pandemie zu bestehen, hätte man sich möglichen Optionen zuwenden können, die ein unvergleichbar kleineres Risiko mit sich bringen und nach denen auch andere europäische Messen greifen: eine Online-Messe, Online-Präsentationen, viele kleine literarische Ereignisse zur gleichen Zeit in der ganzen Stadt, eine Verkaufsaustellung unter freiem Himmel. Oder all dies gemeinsam“, sagte Božović.

Seiner Meinung nach sind die epidemiologischen Maßnahmen in Serbien unklar, konfus und unkonsequent.

„Vom Anfang der Konfrontation mit der Pandemie des Corona-Virus torkelt die Gesellschaft zwischen Katastrofismus und Schrankenlosigkeit, zwischen vernunftsloser Rigidität und vernunftsloser

Ausgelassenheit hin und her. Es begann damit, dem „unsichtbaren Virus“ ins Gesicht zu lachen, es setzte sich mit der Einsperrung in Häuser und Wohnungen fort, mit katastrofischen Drohungen, dass die Kapazitäten der Belgrader Friedhöfe unzureichend sein werden und man gelangte zum Triumphalismus über den Virus, zu Fußballspielen und Wahlen, zur einzigen Präsidentenwahl der Welt, die nie endet, zu Massenversammlungen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen ... Solch ein falscher Ansatz, gestärkt durch die Manipulierung der Anzahl der vom Corona-Virus infizierten und verstorbenen Menschen, sowie durch die Nutzung der Pandemie zum Zweck der Stärkung der Macht des Regimes und eines unverhohlenen Autoritarismus verwandelte sich in einen passenden Rahmen für Kontroversen und Verschwörungstheorien, die mit aller Kraft entbrannten“, bewertete Božović, der der Meinung ist, dass in Serbien alles campagnenhaft und durch den Willen eines Mannes gelöst wird – des Staatspräsidenten Aleksandar Vučić.

Gojko Božović, Skopje, 2021, photo: Pro-ZA Balkan

Als eine der Folgen der Pandemie in autoritären Gesellschaften führt Božović die zusätzliche Schwächung des Einflusses der Öffentlichkeit an, sowie die Atomisierung der Gesellschaft und die Marginalisierung von kritischen Versuchen der Gestaltung von neuen gesellschaftlichen und kulturellen Inhalten.

Indem er auf langjährige, chronische Probleme des Verlagssektors in Serbien und auf die Herausforderungen hinweist, die die technologische Entwicklung mit sich gebracht hat, führte Božović als ein besonders ernsthaftes Problem eine Krise des Geschmacks an, die dazu führt, Kultur überschüssig zu machen.

„Die oberflächlichsten Formen von Unterhaltung haben fast den ganzen öffentlichen Raum eingenommen, der in immer stärkerem Maße so formatiert wird, dass in ihm Kultur einen Überschuss darstellt. Bürger brauchen Kultur, Verbraucher brauchen Unterhaltung. Sind wir heute in größerem Maße Bürger oder Verbraucher?“, sagte Božović.

Trotz dieser Probleme sagte Božović eine ganze Reihe neuer Ausgaben des Verlagshauses Arhipelag an – unter anderem auch ein Buch der Korrespondenz von Danilo Kiš, das von Mirjana Miočinović zusammengestellt wurde.

*Das ganze Interview (in serbischer Sprache) ist auf diesem Link zugänglich.

(SEEcult.org)

Gefördert mit Mitteln aus dem Internationalen Hilfsfonds für Organisationen in Kultur und Bildung 2021 des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland, des Goethe-Instituts und weiterer Partner, www.goethe.de/hilfsfonds

Dragan Papic
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